Zum
Prozess der Charta
Die
Redaktion der Charta der Grundsätze für ein anderes Europa
ist das Werk zahlreicher Netzwerke im Europäischen Sozialforum
(ESF); sie dauerte mehr als zwei Jahre. An ihr waren auch politische
Akteure beteiligt, die im Juni 2005 unmittelbar im Anschluss an das
französische „Nein“ zum EU-Verfassungsvertrag an der Pariser
Konferenz teilgenommen haben.
Bei
der Niederschrift der Charta konnten zahlreiche Widersprüche
innerhalb der sozialen Bewegungen in Europa überwunden werden.
Dennoch ist der Text, der hier vorgestellt wird, noch eine
„Baustelle“: er bezeichnet eine Etappe in einem
Diskussionsprozess und gibt den Konsens zwischen denen wieder, die an
seiner Ausarbeitung beteiligt waren.
In
diesem Sinn ist dieses Dokument zwar eine wichtige Etappe, aber –
wie ihr Initiator, der italienische Verfassungsrechtler Franco Russo
es ausgedrückt hat - „keine Bibel, sondern ein politisches
Instrument“.
Die
nächste Aufgabe besteht darin, den Rahmen der in den Sozialforen
aktiven Organisationen zu verlassen und diese Charta so breit wie
möglich bekannt zu machen wie dies in Italien schon geschehen
ist.
Die
Charta soll zu Debatten und Kämpfen anregen und den
fortschrittlichen Bewegungen Mittel an die Hand geben, Vorschläge
zu formulieren, die wir dem neoliberalen Europa, das uns aufgezwungen
wird, gegenüberstellen können.
Zu
diesem Zweck fand am 26.Juni 2007 in Brüssel, im Anschluss an
die Regierungskonferenz der EU unter deutschem Vorsitz, eine
Pressekonferenz statt. Am 20.September 2007 wurden Teilnehmer aus
ganz Europa nach Brüssel eingeladen, wo all die Fragen
diskutiert wurden, in denen es keinen Konsens gibt oder die noch
nicht ausreichend behandelt wurden. Solche Fragen sind:
Der
Laizismus in Staat und Schule:
Ist
der Laizismus ein Grundsatz, oder ein Mittel zur Sicherung von
Gedankenfreiheit? In einigen Ländern wie Deutschland ist der
Grundsatz nicht anerkannt; in anderen Ländern wie in der Türkei
ist er Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Soll man beim
bestehenden Text bleiben, oder soll man andere, für alle
verständliche, Worte benutzen? Ist der Laizismus ein für
die Gewissensfreiheit wesentlicher Grundsatz?
Das
politische Europa:
Soll
man, wenn es um ein demokratisches Europa geht, bei den allgemeinen
Grundsätzen bleiben, oder soll man die Debatte über die für
ein demokratisches Europa notwendigen Institutionen vertiefen? Soll
man für ein föderales Europa eintreten, für ein Europa
der Staaten, ein Europa der Völker oder für neue, noch zu
errichtende Institutionen, welche eine demokratische Gesellschaft
garantieren und der direkten Demokratie einen bedeutenden Platz
einräumen?
Die
Minderheiten:
Es
gibt zwar einen Konsens darüber, dass Minderheiten ein Recht auf
Freiheit der Meinungsäußerung haben, jedoch eine Debatte
darüber, ob die Selbstbestimmung der Völker soweit gehen
soll, dass sie zu einer völlig autonomen politischen
Organisierung im Rahmen eines gegebenen Staates führt. Das
Beispiel Jugoslawiens und seiner Zersplitterung hat gezeigt, dass
eine solche Entwicklung auch gegen die Freiheit und Emanzipation
gerichtet sein kann.
All
diese Fragen und andere müssen breiter diskutiert werden.
Deshalb laden die Autorinnen und Autoren dieser Charta die Leserinnen
und Leser ein, sich aktiv in den Diskussionsprozess einzubringen, wie
Europa sozialer und demokratischer gestaltet werden kann, als es uns
die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vorgemacht haben.
Wie
laden die Leserinnen und Leser ein, sich auf den dazu vorgesehenen
Internetseiten zu registrieren und uns ihre Kommentare mitzuteilen.
Um Missbrauch zu vermeiden, werden die Kommentare innerhalb von 48
Stunden auf die Webseite gestellt.
Das
Redaktionskomitee
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